Goldschmied oder Bildhauer? Für Ruan Weng Mong ist das nicht die Frage. Der gebürtige Taiwaner vereint die Wucht der großen Form mit der handwerklichen Sorgfalt und Sensibilität des Schmuckkünstlers.
Unter dem Titel „Exotic Formosa“ zeigt das Schmuckmuseum Pforzheim noch bis zum 6. Juni 2022 eine umfangreiche Retrospektive des ehemaligen Obermeisters der Nürnberger Goldschmiede-Innung, die seine singuläre Stellung in der zeitgenössischen Schmuckkunst eindrucksvoll vor Augen führt.
„Schmuck“ ist ein Begriff, der zu den Arbeiten von Ruan Weng Mong nicht so recht passen mag. Schmuck dient der Zierde, Dekoration oder Verschönerung und Begriffe wie „dekorativ“, „schön“ oder „gefällig“ treffen auf die Arbeiten dieses Künstlers nur in Einzelfällen zu. Ruan selbst spricht von „einem anderen Schönheitsgrad“, der „neue Perspektiven“ erzeugt. In der Tat: Die meisten Objekte wirken auf den ersten Blick so eigenständig und fremdartig, als seien sie in einer extraterrestrischen Kultur entstanden. Geheimnisvoll, magisch, stark, wehrhaft, so lauten die Adjektive, die einem bei Objekten wie „Colum of Spirit“ (Säule des Geistes), „Island of Hope“ oder „Protector“ (Beschützer) – alles Arbeiten aus dem Jahr 2019 – in den Sinn kommen.
links: Island of Hope, Messing, Serpentin, 2022. rechts: Treasure Island, Messing, Serpentin, 2022. Fotos: Isabelle Hofmann
Durchaus treffende Assoziationen, wie auf den Beschriftungen nachzulesen ist. 2019 war gesundheitlich kein gutes Jahr für Ruan und so suchte er nach Formen, die Schutz bieten können. Dabei fielen ihm die chinesischen Wächterlöwen ein, die vor jedem Tempel stehen, um das Gebäude und die Menschen in ihm zu beschützen. Kennt man den Hintergrund, so kann man im „Protector“ mit seinem architektonisch-kantigem Unterbau aus Messing und dem runden, leicht konischen Kopf aus Serpentin leicht die Inspiration nachvollziehen. Für Cornelie Holzach, Direktorin des Schmuckmuseums, das erklärte Lieblingsstück einer Ausstellung, in der „ganz selbstverständlich asiatische Eleganz mit deutscher Ästhetik“ verbunden werden, wie sie sagt.
Aber auch die beiden anderen Arbeiten (ebenfalls aus Messing und Serpentin gefertigt) wirken außerordentlich kompakt und stabil, vereinen runde und kantige Formen zu architektonisch anmutenden Gebilden. Wie so viele Arbeiten des Künstlers haben sie eine Art Mittelformat, messen kaum mehr als 50 Zentimetern Höhe und sind als Tisch- oder Sockelobjekte gedacht.
Ruan Weng Mong liebt die ungewöhnliche Kombination von Materialien. Neben Metall und Stein verarbeitet er auch Nüsse oder Holz in seinen Objekten. Bestes Beispiel seine Ringe „Tropic Echo“ (2019), in denen er Silber, Achat und Betelnüsse kombiniert und damit Naturprodukten einen ebenbürtigen Wert wie Gold, Silber oder Schmucksteinen beimisst. Nach seinen Vorbildern befragt, nennt er Brancusi und Jean Arp, Walter Gropius und Joan Miró. Aber sicher spielt auch Horst Antes eine Rolle, einige Objekte in der Pforzheimer Ausstellung erinnern sehr an die Kopffüßler des Karlsruher Bildhauers und Malers. Nicht zu vergessen der Italiener Arnaldo Pomodoro, der, ebenso wie der Taiwaner, ein Meister der großen und der kleinen Form ist, ein Bildhauer und ein Goldschmied.
Die wichtigsten Inspirationsquellen des Künstlers Ruan Weng Mong aber sind Natur und Architektur, vor allem die Architektur der Landschaft. Darauf verweisen schon Titel wie „The Reflection of Landscape“ (Brosche und Objekt, 1997) oder „Happy Island“ (Anhänger, 2020). Eine weitere wichtige Inspirationsquelle sind die unterschiedlichen Kulturen aus dem afrikanischen, dem europäischen und dem asiatischen Raum. In einem seiner jüngsten Objekte „treasue island 1“ von 2022 hat er die Trinkwasser-Gefäße der Urbevölkerung Taiwans in einer organisch-weichen Messingform nachempfunden, auf der in Krappenfassung ein tropfenförmiger Achat befestig ist, der selbst als Trinkgefäß nutzbar wäre.
links: Space Traveller, Kristall, Silber, Holz, 2019. rechts: Spirit of Betelnuts, 2022. Fotos: Isabelle Hofmann
„Mittler zwischen den Welten“ wird Ruan Weng Mong gern genannt und diese Bezeichnung trifft im Kern. Geboren 1952 als Spross einer kunstbegeisterten Familie in Shihlin (im Norden von Taipei), begann Ruan 1973 ein Bildhauerstudium an der Nationalen Kunstakademie Taiwan. Nach seinem Diplom 1976 erhielt er die Chance, im Auftrag des chinesischen Wirtschaftsministeriums für zwei Jahre als Kunstlehrer in Swasiland zu unterrichten, wo er das Edelsteinschleifen erlernte. Zurück in Taiwan arbeitete Ruan zunächst als Zeichenlehrer in Taipei. Reiselust und Fernweh hielten ihn allerdings nicht lange zu Hause. 1979 zog es ihn nach Deutschland – der Liebe wegen. In Swasiland hatte er eine Nürnberger Familie kennengelernt und sich in deren Tochter verliebt. „Der Anfang in Deutschland war die Hölle“, erzählte der Künstler einmal. Fremde Kultur, fremde Sprache, fremdes Essen – doch nach der Heirat 1980 ging es kontinuierlich bergauf. Über eine Stelle als Gehilfe bei Monika Wächtler, damals Obermeisterin der Goldschmiedeinnung Mittelfranken, gelang der Einstieg in die Schmuckkunst. Eine Lehre mit exzellentem Abschluss bei dem Nürnberger Goldschmiedemeister Klaus Gessner folgte, danach ein Gaststudium an der Zeichenakademie Hanau. Gleichzeitig ließ sich Ruan in Idar-Oberstein zum Gemmologen ausbilden und wurde das erste taiwanische Mitglied der Deutschen Gemmologischen Gesellschaft. Mittlerweile deutscher Staatsbürger absolvierte er auch noch die Würzburger Meisterschule und wurde in die Deutsche Goldschmiede-Innung aufgenommen. 1987 hielt Ruan Weng Mong glücklich seinen Meisterbrief in den Händen, privat allerdings war dieses Jahr eher katastrophal. 1988 wurde seine Ehe geschieden. Dennoch blieb er in Deutschland, mache sich selbständig und wurde schließlich 1992 Nachfolger von Monika Wächtler – als erster ausländische Obermeister in Mittelfranken seit 500 Jahren.
Drei Jahre später gab er sein hohes Amt wieder ab und ging zurück nach Taiwan. Der Grund: Natürlich wieder die Liebe. Mittlerweile lebt er mit seiner zweiten Frau und den zwei erwachsenen Kindern längst wieder in Deutschland, doch für ein paar Wochen kehrt Ruan jedes Jahr auf diese herrliche kleine Insel im Westpazifik zurück, der die Portugiesen einst den Namen Formosa, die Schöne, gaben. Als Hochschuldozent in Taipei trägt der Goldschmiedemeister maßgeblich dazu bei, zeitgenössischen Schmuck auf höchstem Niveau zu etablieren und Metallkünstler von internationalem Rang auszubilden.
Die aktuelle Sonderausstellung im Schmuckmuseum Pforzheim ist ein weiterer Ritterschlag für diesen Künstler der Sonderklasse: Er ist der erste taiwanische Bildhauer und Goldschmied, der in Deutschland mit einer Einzelausstellung gewürdigt wird.
Exotic Formosa – Schmuck und Objekte von Ruan Weng Mong
zu sehen bis 6. Juni 2022 im Schmuckmuseum Pforzheim, Jahnstraße 42, in 75173 Pforzheim
Göffnet: Di-So 10-17 Uhr, Eintritt 6 Euro, ermäßigt 3,50 Euro.
Weitere Informationen
YouTube-Video:
Exotic Formosa - Schmuck und Objekte von Ruan Weng Mong | Ausstellung im Schmuckmuseum Pforzheim