Eine Ausstellungseröffnung mitten in den Sommerferien? Nicht unbedingt der beste Zeitpunkt. Umso strahlender die Gesichter allerseits, als Kulturstaatsrätin Jana Schiedek, Stiftungs-Vorstand Hans-Jörg Czech und die Direktorin des Museums der Arbeit Rita Müller bei herrlichem Sommerwetter rund 700 Gäste in der Alten Fabrik zur III. Biennale angewandter Kunst begrüßen konnten.
WERTVOLL lautet der Titel der diesjährigen Biennale – und wieder ist er inspiriert vom Ort der Ausstellung – nach dem Museum für Hamburgische Geschichte 2020 und 2022 nun im Museum der Arbeit.
Arbeiten heißt Werte schaffen und das gilt in ganz besonderem Maße für die 70 Handwerks-Künstlerinnen und Künstler der AdK und GEDOK, die mit rund 300 Exponaten in der Alten Fabrik des Museums der Arbeit einen Einblick in ihr vielfältiges Schaffen geben. Nicht ohne Grund verzeichnet die UNESCO mittlerweile sämtliche Gewerke auf ihrer Liste des Immateriellen Kulturerbes. Im Museum der Arbeit führen nun Objekte aus Glas, Holz, Keramik, Papier, Textil und Metall (insbesondere Schmuck) die Bandbreite klassischer Kulturtechniken, aber auch innovativer Arbeitsweisen und Materialien vor Augen. Denn es geht in dieser Schau nicht nur um die hinlänglich als „wertvoll“ bezeichneten Materialien wie Gold, Silber und Edelsteine. Es geht vielmehr um die Vielseitigkeit und Ambivalenz des Begriffes „wertvoll“.
Museum der Arbeit in Hamburg während der Eröffnung von "Wertvoll". Foto: Andreas Laible
In Ihrer Eröffnungsrede zitierte Rita Müller, die Direktorin des Museums der Arbeit, den französischen Dramatiker und Schauspieler Molière, von dem der Satz überliefert ist: „Die Dinge haben nur den Wert, den wir ihnen geben“. Das trifft in der Tat bei sehr vielen Dingen zu, die mit persönlichen Bedeutungen und Erinnerungswerten aufgeladen sind, die weit über den materiellen Wert hinausgehen. Beispiele sind hier der Verlobungsring, ein Möbelstück der Großeltern oder die aus den Steuerunterlagen gefertigte Schale der Papierkünstlerin Silke Janssen.
Aber auch unser Zusammenleben ist geprägt von Werten. Und es ist schmerzlich zu sehen, dass unsere Gesellschaft offenbar immer weniger Wert legt diese immateriellen Werte, wie beispielsweise Ehrlichkeit, Freundlichkeit und Toleranz. Das Bemühen um Vielfalt und gegenseitiges Verstehen wird deshalb heute immer wertvoller. In der Ausstellung „Wertvoll“ gibt es gleich mehrere Arbeiten, die auf diese Tugenden anspielen. Ein Beispiel sind die Arbeiten „Jeder hat eine Geschichte“ Gold- und Silberschmiedin Kathrin Heinicke, die eine Halskette mit Textauszügen aus Salman Rushdies Märchen „Harun und das Meer der Geschichten“ gravierte und einen Becher mit Zitaten aus Heinrich Heines Nordseezyklen. Der muslimische und der jüdische Kulturkreis treffen hier aufeinander und, wie Heinicke in dem empfehlenswerten Katalog schreibt, „Der Wille des Verstehens und die Wertschätzung der Geschichte meines Gegenübers ist der wertvolle Gedanke und findet Ausdruck in meine Arbeit“. In der Tat: Gerade in der gegenwärtigen Situation im Nahen Osten ist der Wille zu Toleranz, Frieden und gegenseitigem Verständnis von unschätzbarem Wert.
Es gibt jedoch auch Umstände, die eine allgemeine Übereinkunft dessen, was wertvoll ist oder nicht, fundamental in Frage stellen: Eine wärmende Decke ist in einer eisigen Nacht im Freien weitaus wertvoller als der kostbarste Schmuck und eine Flasche Wasser in der Wüste kostbarer als alles Geld der Welt.
Und damit berührt diese Ausstellung auch existenzielle Fragen. Wie will man den Herausforderungen unserer Zeit, Klimakrise und Umweltverschmutzung, begegnen? Wie schafft es die Menschheit für die nächsten Generationen, gute Lebensbedingungen erhalten? Mit billig produzierter Massenware, die für Müllberge und -meere sorgt, sicher nicht.
Die angewandten Künstler und Künstlerinnen haben sich dem Prinzip der Billigproduktion schon immer verweigert. Ihre Sachen sind hochwertig und – zugegeben – oft auch sehr kostspielig. Aber sie halten auch eine kleine Ewigkeit, sind nicht kurzlebigen Moden und dem schnellen Konsum unterworfen, sondern gemacht, um auch der nächsten Generation noch Freude zu bereiten.
Fair gehandeltes Gold, die Aufarbeitung und Umgestaltung von vorhandenen Dingen, Ressourcen schonendes Arbeiten, sind für die meisten Handwerks-KünstlerInnen heute selbstverständlich. Das betrifft nicht nur die Aufarbeitung von Altgold, Altpapier und Glasurresten, Upcycling ist für alle so selbstverständlich geworden, dass es gar nicht mehr erwähnt wird.
V.l.n.r.: Hans-Jörg Czech (Stiftung Historischer Museen, Hamburg), Caroline D'Amico (Carolina D'Amico-Stiftung), Isabelle Hofmann (AdK), Staatsrätin Jana Schiedeck (Behörde für Kultur und Medien, Hamburg). Foto: Andreas Laible
In der Ausstellung sind gleich mehrere Beispiele zu sehen. So ist die extravagante schwarze Kappe der Modistin Ulli Meins aus einem ausrangierten Theatervorhang gefertigt, die Objekt-Schatullen von Sigrid Vollmer aus Altpapier und die farbenfroh-verspielten Objekte von Karen Knickrehm aus Konservendosen, die sie mit aufwendig gegossenen Silberdeckeln und -Figuren in einzigartige Objekte verwandelte.
Die nächste Generation der angewandten Künstlerinnen und Designer geht aber noch einen Schritt weiter. Als besonders innovativ fallen die Studierenden der HAW aus der Klasse Textildesign von Renata Brink auf. Vier von ihnen wurden dieses Jahr erstmals als Gäste zur Biennale angewandter Kunst eingeladen. Natalie Dittmar, Teresa Pape, Jannik Ries und Magdalena Warkocz. Als Beispiel für neue Wege in Bezug auf Nachhaltigkeit seit hier nur Warkocz genannt. Die junge Textil-Designerin züchtet den Kombucha-Pilz, aus dem der mittlerweile auch bei uns beliebte Kombucha-Tee gemacht wird, trocknet ihn und gewinnt dadurch einen lederartigen Stoff, der zu Textilien verarbeitet werden kann. Die kleine Tasche, die sie in der Alten Fabrik ausgestellt hat, ist ein erster Versuch. Das Schöne an den Kombucha-Textilien: Wenn sie nicht mehr gefallen, kann man sie der Erde zurückgeben und als Dünger für Blumen verwenden.
Der Preis für zeitgenössisches Kunsthandwerk der Carolina D’Amico-Stiftung ging in diesem Jahr an die Möbeltischlerin Ragna Gutschow, die Buchbinderin Christine Sieber und die Gold- und Silberschmiedin Claudia Westhaus. Den Förderpreis erhielt Teresa Pape, HAW-Absolventin im Bereich Text-Design.
Werke der Preisträgerinnen: 1. Preis: Ragna Gutschow, Foto: Tristan Rösler und 2. Preis: Christine Sieber, Foto: Michael Marczok
In der Begründung der Jury heißt es: „Für den ersten Preis wurde eine schon lange bekannte und bewährte Meisterin des kunsthandwerklichen Möbelbaus gewählt. Ragna Gutschow beeindruckt mit ihrem Kabinettschrank aus massivem Birnbaum und den eingelegten Silberringen. Sie hat mit diesem Werk erneut Maßstäbe gesetzt, welche die Kriterien unserer Beurteilung: Innovation, handwerkliche Qualität, Umsetzung des Themas „Wertvoll“ und Nachhaltigkeit maximal erfüllen.“
Den zweiten Preis erhielt die Buchkünstlerin Christine Sieber. Ihr Buch mit dem Titel „Alle Manden van het Jaar“ (Alle Monate des Jahres) ist in Leder eingebunden. Der Einband ist mit einer an den Kandinsky der 1920er Jahre erinnernden Farbzeichnung geschmückt. Für das Buch fertigte sie eine Kassette, die sie mit einem Motiv als abweichende Variante des Einbands versah - gestaltet mit ungewöhnlichem Material wie Autolack. Damit hat Christine Sieber den Begriff des Buches in Richtung einer Kostbarkeit gewandelt, wie sie alte Handschriften erreicht haben. Auch in seinem Inhalt wird das Buch auf diese Weise zu neuer Wichtigkeit und damit Nachhaltigkeit gesteigert.
Den dritten Preis sprach die Jury der Silberschmiedin und Schmuckkünstlerin Claudia Westhaus zu. Ihre aus einzelnen Elementen wie Lamellen, Schuppen oder organischen Strukturen aufgebauten Broschen und Ohrstecker haben die Jury in ihrer Originalität und handwerklichen Perfektion überzeugt.
Den Förderpreis erhält die junge Textildesignerin Teresa Pape für ihre Rauminstallation „Changing Spaces“. Die raumgreifende Anordnung und das fein abgestimmte Gewebe im Wechsel mit offenen Stellen machen neugierig auf die beabsichtigte Rolle von Textilien in der Architektur.
Werke der Preisträgerinnen: 3. Preis: Claudia Westhaus, Foto: Michael Marczok. Förderpreis: Teresa Pape, Foto: Svenja Lüh
WERTVOLL, III. Biennale angewandter Kunst der AdK und GEDOK
Zu sehen bis zum 1.9.2024, im Museum der Arbeit, Wiesendamm 3, 22308 Hamburg,
Öffnungszeiten: Montag 10-21 Uhr, dienstags geschlossen, Mittwoch bis Freitag 10-17 Uhr, Samstag und Sonntag 10-18 Uhr
Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen. Künstlerinnenführungen montags 19-21 Uhr.
- Weitere Informationen (Museum der Arbeit)